Die Deutsche Bahn will beim Ausbau ihres Schienennetzes künftig stärker auf Nachhaltigkeit setzen – und beginnt mit einem Pilotprojekt, das Signalwirkung für die gesamte Branche haben könnte. Zum ersten Mal lässt das Unternehmen Schienen aus sogenanntem „grünem Stahl“ herstellen. Dafür hat die Bahn-Tochter DB InfraGO einen Liefervertrag mit dem Hersteller Saarstahl unterzeichnet. Rund 1.000 Tonnen des neuartigen Materials sollen geliefert und anschließend auf Strecken in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und im Saarland verbaut werden.
Ankündigung kein Zufall
Der Zeitpunkt der Ankündigung ist kein Zufall: Sie fällt unmittelbar vor den sogenannten „Stahlgipfel“ im Kanzleramt, bei dem die Bundesregierung zusammen mit Vertretern der Industrie und den Ministerpräsidenten verschiedener Bundesländer über Wege aus der Krise der deutschen Stahlbranche beraten will. Der Sektor steht vor gewaltigen Herausforderungen: steigende Energiekosten, internationale Konkurrenz und die Notwendigkeit, Produktion und Lieferketten klimafreundlicher zu gestalten.
Neuer Ansatz: Stahlproduktion ohne Hochofen
Der von Saarstahl gelieferte grüne Stahl wird nicht wie üblich in Hochöfen mit Eisenerz und Kohle hergestellt, sondern entsteht im französischen Werk Saarstahl Ascoval nach einem völlig anderen Verfahren. Dort werden alte Schienen und Stahlschrott wiederverwertet und in einem elektrisch betriebenen Lichtbogenofen eingeschmolzen. Der Strom dafür kann aus erneuerbaren Energiequellen stammen, was die Klimabilanz weiter verbessert.
Laut Saarstahl entstehen auf diese Weise bis zu 70 % weniger CO₂-Emissionen als bei der klassischen Produktion. Zudem wird der Kreislaufgedanke konsequent umgesetzt: Ausgediente Bahnschienen werden zu neuem Material verarbeitet, das wieder auf die Gleise kommt. Für die Bahn bedeutet das nicht nur einen ökologischen Fortschritt, sondern auch eine stärkere regionale Wertschöpfung, da die Produktion in Europa stattfindet.
Wie viel die Deutsche Bahn für den klimafreundlichen Stahl bezahlt, wurde nicht bekannt gegeben. Sicher ist jedoch, dass die Herstellung teurer ist als bei konventionellem Stahl. Dennoch sieht der Konzern das Projekt als Investition in die Zukunft und als Schritt in Richtung des eigenen Klimaziels: Klimaneutralität bis 2040.

Ein kleiner Anfang mit großer Symbolik
Die bestellten 1.000 Tonnen Stahl reichen für rund 22 Kilometer Schienen – gemessen an der Größe des deutschen Schienennetzes und der jährlichen Stahlproduktion eine eher symbolische Menge. Zum Vergleich: Allein 2024 wurden in Deutschland über 37 Millionen Tonnen Rohstahl hergestellt. Doch das Pilotprojekt soll vor allem zeigen, dass nachhaltige Alternativen technisch möglich und wirtschaftlich darstellbar sind.
„Gemeinsam mit Saarstahl Rail beweisen wir, dass klimafreundliches Bauen und heimische Produktion Hand in Hand gehen können“, erklärte Philipp Nagl, Vorstandschef der DB InfraGO AG. Für Saarstahl-Vorstand Jonathan Weber ist die Kooperation „ein starkes Signal für nachhaltige Industrieprozesse“. Erst im Januar hatte das Unternehmen einen Milliardenvertrag mit der französischen Bahngesellschaft SNCF über CO₂-reduzierte Schienen abgeschlossen – nun folgt der nächste Schritt mit der Deutschen Bahn.
Herausforderung für die Stahlindustrie
Die Herstellung von Stahl gehört zu den energieintensivsten Prozessen der Industrie überhaupt. Entsprechend groß ist ihr Anteil an den weltweiten Treibhausgasemissionen. Ohne grundlegende Veränderungen in diesem Sektor lassen sich die europäischen und deutschen Klimaziele kaum erreichen. „Grüner Stahl“ gilt daher als einer der Schlüssel zur Transformation der Industrie.
Allerdings stehen viele Hersteller vor wirtschaftlichen Hürden. Die Umstellung auf klimaneutrale Produktion erfordert hohe Investitionen, während die Preise für grünen Stahl noch deutlich über denen konventioneller Produkte liegen. Erst im Juni hatte der Konzern ArcelorMittal bekannt gegeben, seine Pläne zur Umrüstung der Werke in Bremen und Eisenhüttenstadt aufzugeben – die wirtschaftliche Grundlage fehle.
Genau hier will das Projekt von Bahn und Saarstahl ansetzen: Durch konkrete Aufträge für klimafreundlich produzierten Stahl sollen Märkte geschaffen und die Nachfrage gesteigert werden. Je mehr Unternehmen diese Materialien einsetzen, desto schneller können Produktionskosten sinken.
Ein Signal für nachhaltige Lieferketten
Für die Deutsche Bahn ist das Pilotprojekt Teil einer breiter angelegten Nachhaltigkeitsstrategie. Neben dem Umstieg auf Ökostrom und energieeffiziente Fahrzeuge will der Konzern auch bei Bau- und Instandhaltungsmaßnahmen neue Wege gehen. Materialien sollen künftig nicht nur langlebig, sondern auch ressourcenschonend hergestellt werden.
Mit der Kooperation zwischen DB InfraGO und Saarstahl Rail entsteht eine Lieferkette, die weitgehend in Europa bleibt – ein Pluspunkt für Klimaschutz und Versorgungssicherheit gleichermaßen. „Das ist nur ein erster Schritt“, betont Nagl. „Aber jeder Kilometer nachhaltiger Schienen ist ein Beitrag zur Klimawende auf der Schiene.“
Wandel für Stahlindustrie
Noch ist das Projekt eher ein symbolischer Anfang als eine großflächige Umstellung. Doch wenn der Versuch erfolgreich verläuft, könnten künftig deutlich mehr Schienenkilometer aus grünem Stahl gefertigt werden. Damit würde die Bahn nicht nur ihre eigene CO₂-Bilanz verbessern, sondern auch als Großabnehmer den Wandel in der Stahlindustrie mit anstoßen.
Der Einsatz des umweltfreundlichen Materials zeigt: Klimaschutz in der Industrie beginnt oft in kleinen Schritten – aber gerade diese Schritte sind entscheidend, wenn aus Pilotprojekten echte Veränderungen entstehen sollen.




