Der Mangel an LKW-Fahrern in Deutschland wird zunehmend zu einem Problem, das die Logistikbranche belastet. Schätzungen zufolge fehlen allein in Deutschland rund 70.000 Fahrer. Um diesem Engpass zu begegnen, setzen Hafenbetreiber wie die Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) auf innovative Technologien wie ferngesteuerte Lastwagen. Ein zentrales Unternehmen in diesem Bereich ist das Münchener Start-up FERNRIDE, das zusammen mit der HHLA bereits seit Monaten erfolgreich Tests durchführt.
FERNRIDE ist erstes Unternehmen, das Zertifizierung vorweisen kann
FERNRIDE hat eine Technologie entwickelt, die es ermöglicht, LKWs aus der Ferne zu starten, zu lenken und zu stoppen. Diese Technologie hat kürzlich eine Sicherheitsvalidierung durch den Tüv Süd erhalten, was FERNRIDE zum ersten Unternehmen macht, das eine solche Zertifizierung für ferngesteuerte Trucks vorweisen kann.
Europaweite Vermarktung geplant
Diese Validierung ist ein wichtiger Schritt für die geplante europaweite Vermarktung des Systems. Im Unterschied zu selbstfahrenden LKWs, die im öffentlichen Straßenverkehr noch vor großen Herausforderungen stehen, können ferngelenkte LKWs auf geschlossenen Betriebsgeländen wie Häfen und Logistikzentren schon jetzt sicher eingesetzt werden.
In den Häfen übernimmt ein LKW-Fahrer aus einer zentralen Operationszentrale die Kontrolle über die Fahrzeuge. Diese Fahrer, auch Teleoperatoren genannt, sind speziell geschult und verfolgen die Fahrzeuge über Kameras und Radarsysteme.
Der Einsatz solcher ferngesteuerten Trucks könnte die Betriebskosten erheblich senken, da menschliche Fahrer oft bis zu 70 % der Transportkosten ausmachen. Zunächst ist geplant, dass ein Teleoperator vier Zugmaschinen gleichzeitig steuert, mit dem Ziel, diese Zahl in Zukunft auf bis zu hundert Fahrzeuge zu erhöhen.
Autonome Technik und künstliche Intelligenz
Die Zugmaschinen, die in den Häfen eingesetzt werden, sind mit fortschrittlichen Technologien wie Lidar (Laserbasierte Abstandsmessung), Radaren und Kameras ausgestattet, die auch in der Automobilindustrie zum Einsatz kommen. Diese Systeme erfassen kontinuierlich Umgebungsdaten und lernen durch wiederholte Prozesse, wie sie sich in verschiedenen Situationen verhalten sollen.
Laut Hendrik Kramer, Mitgründer und CEO von FERNRIDE, wird der LKW-Fahrer dadurch zu einer Art „Fluglotse“, der komplexe Manöver und unvorhergesehene Situationen aus der Ferne überwacht und steuert.
Die Kosten für die Umstellung auf diese ferngesteuerten Systeme sind zunächst hoch, könnten sich aber je nach Lohnniveau in sechs bis 18 Monaten amortisieren. Dies stellt eine attraktive Option für Logistikunternehmen dar, die sich angesichts des Fahrermangels nach kosteneffizienten Alternativen umsehen.
FERNRIDES Expansionspläne und Investoreninteresse
FERNRIDE, eine Ausgründung der Technischen Universität München, hat bereits etwa 70 Millionen Euro an Kapital eingeworben. Zu den prominenten Investoren gehören unter anderem die Munich Re, die HHLA und der Risikokapitalarm von Schenker.
Das Unternehmen plant, seine Technologie nicht nur auf Häfen zu beschränken, sondern auch Betriebshöfe von großen Logistikkonzernen wie Amazon, DHL oder Schenker deratig zu automatisieren. Darüber hinaus sieht FERNRIDE auch ein großes Potenzial für den Einsatz auf Baustellen und in Minen.
Die gesammelten Daten aus den laufenden Tests sind ein wertvolles Kapital für FERNRIDE, da sie zur kontinuierlichen Verbesserung und Anpassung der Systeme genutzt werden können. Außerdem stellten die Daten einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil dar, da sie die Grundlage für das Training der künstlichen Intelligenz der LKWs bilden.
Wettbewerb in der Automatisierungsbranche
Die Automatisierung der Logistikbranche zieht weltweit immer mehr Investoren an. Neben FERNRIDE arbeiten auch andere Unternehmen an ähnlichen Technologien. In Europa entwickeln etwa Volvo und Scania selbstfahrende Transporter für den Einsatz in Minen.
In den USA sind Unternehmen wie Outrider AI und Forterra aktiv, während in China, dem weltgrößten Hafenbetreiber, das Unternehmen Westwell an selbstfahrenden Zugmaschinen arbeitet.
Zukunftsperspektiven für die Logistik
Die Einführung ferngesteuerter LKWs könnte in den kommenden Jahren die Logistikbranche revolutionieren, insbesondere in Bereichen, in denen der Mangel an qualifizierten Fahrern den Betrieb einschränkt.
Die Technologie von FERNRIDE bietet dabei nicht nur eine Lösung für das Problem des Fahrermangels, sondern könnte auch zu erheblichen Kosteneinsparungen führen. Während selbstfahrende LKWs auf öffentlichen Straßen noch Zukunftsmusik sind, könnten Häfen und andere abgegrenzte Betriebsgelände bald schon zu den Vorreitern der Automatisierung werden.